Lang Lang lässt in seiner Interpretation der Goldberg Variationen jede Spur des Barocks vermissen (Quelle: Johannes Kraus von Sande)
Lang Lang lässt in seiner Interpretation der Goldberg Variationen jede Spur des Barocks vermissen (Quelle: Johannes Kraus von Sande)


Johannes Kraus von Sande hört rein


Die Wahrheit muss auch in der Kunst gesagt werden, selbst wenn sie manchmal unangenehm ist: Die vielfach gehypten Aufnahmen der Goldberg-Variationen Johann Sebastians Bachs in der kürzlich erfolgten Einspielung des bekannten chinesischen Pianisten Lang Lang sind nichts Anderes als banal.

Der Pianist, der bisher vor allem durch Einspielungen von Werken der Romantik auch positiv auffiel, tastete sich nun nach einer längeren Pause an einen Kulminationspunkt deutscher Kultur heran, dessen Bearbeitung und Erarbeitung sich viele namhafte Künstler als Vollendung ihres musikalischen Lebenswerkes vornahmen. Nun versucht sich auch Lang Lang als Leipziger Thomaskantor an dem Werk, das als musikalisch und historisch einmalige Verbindung von Säkularität und Sakralität gilt. Begleitet wurde sein Vorhaben durch eine Dokumentation des Senders 3Sat, die den Pianisten und seine Bemühungen zur Erschließung des großartigen Werkes ins richtige Licht setzen soll und letztlich auch ein Konzert in der Leipziger Thomaskirche als Kulminationspunkt des musikalischen Schaffens zum Thema hat.

Letztlich erfolgt die Studioaufnahme dann in der Jesus-Christus-Kirche von Dahlem. Diese Dokumentation steht als nur allzu offensichtliche Marketing- und Selbstdarstellungsstrategie der eigentlichen Darbietung Bachs an Peinlichkeit kaum nach. Um die angebliche Großartigkeit der erzielten Leistung zu unterstreichen, besucht Lang Lang zunächst seine chinesische Musiklehrerin und befragt im Anschluss Größen wie Harnoncourt oder Andreas Staier in gespielt demütiger Geste. Diese Groß- und Altmeister der Alten Musik kommen vor laufender Kamera sodann nicht umhin, den Pianisten und sein Vorhaben über die Maßen zu loben. Ähnlich verhält es sich beim Besuch Lang Langs beim Kantor in Arnstadt. Inhaltliche und künstlerische Belanglosigkeit wird auf diese Weise immerhin zu einem multimedialen Großereignis hochstilisiert, das den unbedarften Zuhörer und Zuschauer an die Großartigkeit des vorgeblichen Meisterwerkes glauben lässt. 

Technische und gestalterische Effekthascherei

Doch es verhält sich hier nicht recht viel anders, als mit des „Kaisers neuen Kleidern“. Wollen wir das unbedarfte Kind sein, das mit den Fingern auf die Wahrheit zeigt: Man muss kein Purist in Bezug auf die historische Wiedergabe eines musikalischen Werkes sein. Es ist möglich und vielfach auch reizvoll, Bach wie Chopin zu spielen, der legendäre Glenn Gould spielte ihn in seinen berühmten Aufnahmen der Goldberg-Variationen von 1955 eher wie Beethoven. Die Interpretation Lang Langs jedoch bricht im negativen Sinne mit allen bisherigen Versuchen und Traditionen, indem sie sich auf bloße technische und gestalterische Effekthascherei reduziert. Allem voran die extremen Schwankungen des Tempos, die durchweg einer sinnvollen interpretatorischen Grundlage entbehren und völlig willkürlich daherkommen.

Fehler kann man nicht hören, daneben dominieren jedoch leider inhaltsleere und gekünstelt wirkende Verzierungen. Emotionen kommen nicht auf, die spirituelle Ebene des Werkes scheint an keiner Stelle durch. Transzendentale Elemente fehlen völlig, der sakrale Faktor des Werkes hat sich in Luft aufgelöst. Der Pianist dreht einzelne, technisch gelungene Pirouetten, die sich jedoch zu keiner schlüssigen und ansprechenden Kür zusammenfinden.

Selbst der für die Barockmusik so typische, vom geschulten Hörer wahrnehmbare Zusammenhang der vielen gleichzeitig harmonisierenden Einzelstimmen löst sich in der Interpretation Lang Langs in einem undefinierbaren und schwammigen Klangchaos auf. Dies raubt der Barockmusik letztlich ihre ganze Seele und wird ihrem traditionellen Charakter in keiner Form mehr gerecht.

Nach kurzer Zeit des Hineinhörens verliert die belanglose Effekthascherei gänzlich ihren Reiz und man träumt von kongenial klaren und einfachen, jedoch in ihrer puristischen und gleichzeitig differenzierten Form gelungenen Darbietungen von Bach-Werken einer Khatja Buniatishvili. Zumindest für den europäischen Markt und dessen Ansprüche ist die vorliegende Interpretation und Aufnahme nicht geeignet und zumutbar. Daran ändert auch die in Gang gesetzte gewaltige Marketing-Maschinerie und der ansonsten bekannte Name des Interpreten nichts.

Der Künstler hat sich mit dieser Bearbeitung keinen Gefallen getan und kann nun auch angesichts seines noch nicht fortgeschrittenen Alters weiter an der Krönung seines musikalischen Lebenswerkes arbeiten. Aufrechte Demut und Ehrlichkeit tun hier jedoch sicher Not. 

 

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