Die Jesiden gehören zu den ältesten religiösen Gemeinschaften der Welt. Sie stellen keine Buchreligion dar, sondern überliefern ihre religiösen und mythologischen Inhalte seit ihrer Entstehung mündlich. Ihr höchster Gott Khodé ist vermutlich der erste monotheistische Gott des euro-asiatischen Kulturraums.
Khodé ist ein sogenannter "Deus otiosus", ein Gott, der sich, nachdem er den Kosmos aus einer Perle erschaffen hatte, zurückzog, um das weiterhin Geschehende aus der Entfernung zu beobachten. Die Gestaltung der Welt überließ er seinem höchsten Engel Tawsi Melek, dem höchsten von sieben Engeln, die Khodé aus seinem Licht erschaffen hatte. Als Gott die Engel aufforderte, vor Adam niederzuknien, weigerte sich Tawsi Melek, dies zu tun. Er habe Gott gelobt, vor keinem Anderen niederzuknien als nur vor Ihm. Dieses Gelübde wird von den Muslimen fälschlicherweise als Befehlsverweigerung interpretiert. Die Verehrungdes als wunderschöner Pfau in Erscheinung tretenden Tawsi Melek durch die Jesiden betrachten sie als Teufelsanbetung.
Seit Jahrhunderten sind die Jesiden Opfer brutalster, religiös und ethnisch motivierter Gewalt. Sie gehören zu den am meisten vom Aussterben bedrohten Religionsgemeinschaften der Welt.
Um sich vor den Übergriffen zu schützen, übernahmen sie Im 11. Jahrhundert das bis heute geltende, von dem Sufimeister Adi Ibn Musafir (*zwischen 1073 und 1078 in Bait Fār bei Baalbek im Libanon, † 1162 oder 1163 in Lalish) inspirierte Kastensystem.
Die Kasten unterteilen sich zu 80 Prozent in Mirids, 15 Prozent sind Scheichs, 5 Prozent sind sogenannte Pirs. Auch nach außen hin herrscht seit dem 11. Jahrhundert Endogamiegebot, das heißt, dass Jesiden nur Jesiden heiraten dürfen,und auch das nur innerhalb ihrer jeweiligenKaste. Jesiden, die Anhänger anderer Religionen heiraten oder mit diesen Nachkommen zeugen,werden aus der Gemeinschaft ausgestoßen.
Ist eine Reform des Jesidentums möglich?
Da dieses Kastenwesen, gemessen am Alter des Jesidentums, erst sehr spät eingeführt wurde, erscheint eine Rückbesinnung auf die traditionelle Gesellschaftsform und Religionsausübung möglich.
Dies ist auch ein Hauptanliegen des im deutschen Jesiden Paruar Bako. Bako wurde 1993 im kurdisch-jesidischen Ort Khanke geboren und wuchs nach der Flucht seiner Eltern aus dem Irak im norddeutschen Oldenburg auf.
Im August 2014 begab sich Paruar Bako unter dem Eindruck des vom Islamischen Staat an seinen Glaubensbrüdern und -Schwestern begangenen Völkermords in seine ursprüngliche Heimat, wo er wenige Jahre später ein Waisenhaus gründete. Heute ist das Waisenhaus eine vom in Oldenburg ansässigen Verein "OurBridge" betriebene Schule für jesidische Waisenkinder. Das pädagogische Konzept erinnert an die von Janusz Korczak (1878 – 1942) eingeführte, auf den Rechten von Kindern basierende Pädagogik der Selbstertüchtigung.
"Die Jesiden sollen lernen, dass es sich lohnt, an sich selbst zu glauben und daran, dass wir selbst die Veränderung sein können, die wir uns für die Zukunft wünschen", sagt Paruar Bako. Ziel ist es, das Aussterben dieser großartigen, friedlichen und weisen Kultur zu verhindern und den Jesiden als Ganzes gute Perspektiven für die Zukunft zu sichern.