Leonhard „Lenny“ Fischer hat den Ruf einer „Investment-Legende“
Leonhard „Lenny“ Fischer hat den Ruf einer „Investment-Legende“


Berlin – Der Finanzmanager Leonhard Fischer gehört nicht zu denen, die vom Untergang des Kapitalismus fabulieren, nur weil es mal ökonomische Schwächephasen oder zyklische Krisen gibt. Aber veränderte Spielregeln dieses Wirtschaftssystems sieht er sehr wohl und mahnt deshalb Änderungsbereitschaft an: „Wir müssen uns davon verabschieden, dass die Regeln des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts auch im 21. Jahrhundert gelten. Das erfordert die Bereitschaft, sich auf neue Ideen einzulassen, sowohl was die Geld- und Fiskalpolitik als auch was die Definition von Kapitalismus betrifft.“ Aber die Idee einer freien und eigentumsbasierten Gesellschaftsordnung, die leistungsstarkes Unternehmertum honoriert, hält Fischer für zeitlos. Der frühere Banker und Finanzinvestor, der 1963 in der Grafschaft Bentheim zur Welt kam, macht sich Sorgen wegen der überbordenden Staatsverschuldung nicht nur im Euro-Raum. Ein zusätzliches Stabilitätsrisiko sieht er in den aufgeblähten Bilanzen der Notenbanken. Komme es zum finanziellen Offenbarungseid, würden sich die „Retter“ – wie immer in der Geschichte – auf Kosten der Normalbevölkerung selbst retten. Das treffe dann vor allem die Leistungsträger der Gesellschaft. In Deutschland seien das die acht bis zehn Millionen Menschen, die man Besserverdienende nenne, weil sie 80.000 oder 100.000 Euro im Jahr verdienten. „Das sind die Menschen, die relativ erfolgreich sind, die Rücklagen bilden, die sparen – und auf Kosten dieser Gruppe wird die Sanierung stattfinden“, warnt Leonhard „Lenny“ Fischer. „Und zwar durch eine reale Entwertung aller Forderungen wie Geldforderungen oder Pensionsansprüchen.“

Wer Fischer wegen solcher Einlassungen vielleicht für einen Wichtigtuer hält, weiß nichts über seine facettenreiche Berufsbiografie, die ihresgleichen sucht. Der heute 59-Jährige war schon als Independent Non-Executive Director von Glencore International, als Vorstandsvorsitzender der BHF Kleinwort Benson Group, als CEO der Schweizer Versicherungsgruppe Winterthur und als Geschäftsleitungsmitglied der Credit Suisse Group AG tätig. Außerdem bekleidete er Vorstandsposten bei der Allianz AG und Dresdner Bank AG. Mit diesem Hintergrund galt er schnell als „Finanzgröße“ und „Investment-Legende“.

Das machte Lenny Fischer zum gefragten Interviewpartner der renommierten Wirtschafts- und Finanzpresse. 2009 wollte das „Handelsblatt“ von ihm wissen, warum eine Rettung der US-Bank Lehman Brothers die große Finanzkrise nicht verhindert hätte, wo Banker und Politiker in der Krise versagt haben und welche Negativfolgen die Schuldenpolitik noch haben wird. 10 Jahre später bot ihm die Tageszeitung „Welt“ die Gelegenheit, in einem Meinungsbeitrag seine Kritik an fehlender deutscher Risikobereitschaft zu formulieren. Seine Ausgangsfeststellung war die Widersinnigkeit von Minuszinsen. Die gebe es wegen der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Aufkommen der Digitalwirtschaft, die die alten Regeln des Wirtschaftssystems außer Kraft setze. „Deutschland braucht eine neue Gründerzeit“, lautete Fischers zentrale Forderung. „Denn der neue Digitalisierungskapitalismus wird den Industriekapitalismus der Vergangenheit ablösen. Die Negativzinsen – Fieberkurve des kapitalistischen Wirtschaftssystems und ähnlich alarmierend wie anhaltendes Fieber – sind die ersten Anzeichen für diese Zeitenwende.“ Denn negative Zinsen und Kapitalismus seien ein Widerspruch in sich selbst. Die „Welt“ stellte ihren Gastautor „als international ausgewiesenen Kapitalmarktkenner und kreativen Vordenker im Finanzwesen“ vor. Die Kolumne „Der Kapitalismus hat Fieber“ vom Oktober 2019 war die leicht bearbeitete Version eines Vortrags, den Fischer bei der Verleihung des BILANZ-Gründerpreises „Start me up!“ gehalten hatte.

Auch heute, wo die Zinsen zur Inflationsbekämpfung wieder steigen, ist der Fintech-Unternehmer ein beliebter Interviewpartner, Kolumnist und Vortragsredner. Bei Fischers Gastvorträgen merken die Zuhörer, warum er von seinem Jugendfreund Kai Diekmann, dem früheren „Bild“-Chefredakteur, als „schnell, lustig und wild“ beschrieben wurde. Wenn der gebürtige Emsländer, der nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre als Trainee bei der Investmentbank J.P. Morgan einstieg und durchstartete, vor Publikum spricht, wird es nie langweilig. Professor Dr. Udo Steffens, Präsident der Frankfurt School of Finance & Management, sagte: „Legendär waren Lenny Fischers Vorträge in den Boom-Jahren der späten 1990er – und auch heute noch lässt er regelmäßig unsere MBA-Studierenden an seinen Erfahrungen teilhaben. Die Veranstaltungen sind einer der Höhepunkte des Semesters. Seine Sicht der Dinge, seine Einschätzung möglicher zukünftiger Entwicklungen der Märkte sind immer eine Quelle der Inspiration und Anlass zu kritischer Reflexion der eigenen Position.“


Erst am 15. Dezember 2022 konnte man ihn im Rahmen des Webinars „Rückblick 2022 – Ausblick 2023“ der Vermögensverwaltung Greiff AG hören. Zusammen mit einem anderen Referenten beschäftigte sich Fischer in gewohnt profunder Weise mit drei Themenbereichen, die als Einheit zu sehen sind: der Nominalillusion der Sparer und Anleger, der Renditeillusion der kommenden zehn Jahre und der Risikoillusion der Fondsindustrie. Das Webinar mit dem Titel „Theater der Irreführung“ schien wie für Lenny Fischer gemacht zu sein, hat er sich doch den Ruf erarbeitet, illusionsfrei auf die Perspektiven der Kapitalmärkte zu blicken und folglich ziemlich geerdete Anlage-Tipps zu geben. Er verfügt eben über genug Lebens- und Berufserfahrung, um die künftigen Renditechancen an den internationalen Kapitalmärkten realistisch einschätzen zu können. Prognosen zur Entwicklung des Jahres 2023 zu geben, ist da eine der leichtesten Übungen. Dass er dabei keine falschen Rücksichtnahmen an den Tag legt, begründete er einmal so: „Ich bin ein unbelehrbarer freiheitsliebender Dissident, der jeden Konsens, besonders den von Politikern und Experten, grundsätzlich hinterfragt.“

Die Königsdisziplin seines Fachs ist der Blick ins nächste Jahrzehnt. Dass man in zehn Jahren nach Abzug der Inflation eine beeindruckende Realverzinsung bekommt, hält der Finanzexperte für ziemlich unwahrscheinlich. „Wenn es gut geht, werden die Aktienmärkte und Immobilien nominal nicht automatisch stark abwerten, aber auch nicht so stark steigen, dass sie den Anstieg der Inflationsrate kompensieren“, ist er überzeugt. Aus seiner Sicht endet eine fast 40-jährige Phase mit fallenden Inflationsraten und Zinsen sowie gleichzeitig stark steigenden Vermögenswerten. Die ökonomische Übergangsphase, in der man sich gerade befinde, bedeute nicht das Ende der Welt. „Aber wenn man nur von seinem Geld leben will, wird es schwer, die nötigen Realrenditen zu erwirtschaften.“ Da ist Expertise mehr denn je gefragt.

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